In Teilen im Prinzip ja. Verschiedene Forschungsprojekte befassen sich mit einem Ersatz der menschlichen Netzhaut, um auch Patienten zu einem funktionierenden Sehvermögen zu verhelfen, denen bisher nicht geholfen werden konnte. Man spricht da von Netzhautchip, Netzhautimplantaten, Sehprothesen oder künstlichem Sehen, kurz “Mikrochip” in der Netzhaut..
Einschränkend muss man dazu sagen, dass alle Systeme eine lange Übungsphase vom Patienten erfordern und das optische Ergebnis allenfalls aus schemenhaften Eindrücken besteht. Es ist immer noch eine Zukunftsversion und hat nichts mit dem zu tun was der Laie unter Sehen versteht. Weitere Forschungen sind notwendig und manche Systeme wurden aufgrund der mageren Ergebnisse schon wieder vom Markt genommen.
Netzhaut besteht aus verschiedenen Schichten (vergl. den Aufbau unter Sehvorgang und oben im Bild). Ersetzt werden können bisher nur die Lichtsinneszellen (s.o.), die das Licht wahrnehmen und nicht die restlichen Schichten der Netzhaut, die für die Verarbeitung und Weiterleitung des Lichtes zuständig sind. Sie werden nämlich gebraucht, um die Informationen aus dem lichtempfindlichen Chip an das Gehirn weiterzuleiten.
Im wesentlichen werden 2 Ansätze unterschieden. Entweder sitzt die Prothese unter der Netzhaut (subretinal) oder auf der Netzhaut (epiretinal), wie unten auf dem Bild zu sehen. Durch elektrische Reizung der noch funktionierenden Strukturen wird von dort dann ein Impuls an das Sehsystem im Gehirn gesendet. Es kommen allerdings nur maximal 25% der 130.000 Blinden in Deutschland dafür in Frage, da bei den anderen der Sehnerv oder die restliche Netzhaut zu sehr geschädigt sind und die Intaktheit dieser Strukturen Vorbedingung für ein Funktionieren dieser “Konstruktionen” sind. Ideal geeignet sind z.B. Patienten, die an Retinitis pigmentosa (RP) leiden, da hier nur die oberen Schichten der Netzhaut beschädigt sind und der ganze Rest des Sehsystems noch funktioniert und zur Weiterleitung der künstlich geschaffenen Lichtimpulse verwendet werden kann. Bei einer Makuladegeneration z.B., lässt sich da bisher leider nichts machen, da die Netzhaut durchgehend geschädigt ist. Sonderfälle werden derzeit untersucht (s.u. Pixium Prima Implantat).
Hier gibt es zum Einen das Tübinger Retina Implant-System das nach 5-jähriger Testung im Tierversuch erstmals 2005 und bisher bei 56 Blinden im Rahmen von Studien eingesetzt wurde und als bestes Ergebnis eine Sehschärfe von 3% erreichte, hat den lichtempfindlichen Chip unterhalb der Schaltzellen der Netzhaut an der Stelle der funktionslosen Lichtrezeptoren liegen. Dadurch erfolgt automatisch die richtige räumliche Zuordnung des Helligkeitsreizes für das Gehirn. 1500 Photoelektroden auf einem 3x3mm Chip erkennen den Lichtreiz und reizen die Bipolarzellen der Netzhaut, die die Impulse weiterträgt. Die Stromversorgung und die Kontrasteinstellung erfolgen durch eine äußere Bedienungseinheit (A/C), die hinter dem Ohr (B) per Kabel Kontakt mit dem Chip unter der Netzhaut aufnimmt. Eine erfolgreiche Vermarktung war jedoch angesichts der für die Patienten subjektiv zu geringen Sehleistung mit dem Implantat und des Aufwandes in Form einer 8-stündigen Operation, nicht möglich gewesen und die Implantation wurde daher eingestellt.
Ein neueres System (Pixium Prima Implantat) wird derzeit (2021) im Rahmen einer 3-jährigen Studie an mehreren deutschen Zentren erstmals getestet, daß den gravierenden Vorteil hat, daß man kein Kabel von hinter der Netzhaut nach draussen legen muss. Die Stromversorgung erfolgt "photovoltaisch", also wie bei einem Solarmodul auf dem Dach. Eine geringgradige Lesefähigkeit für größere Buchstaben wurde damit nach mehrjährigem Training erreicht. Autofahren und Zeitungslesen waren aber nicht möglich. Der bionische Chip hat eine Fläche von 2x2mm und eine Auflösung von 378 Pixeln. Die Standardauflösung eines Fernsehers beträgt übrigens 720 x 576, also 414.720 Pixel, also allzu toll ist das noch nicht aber für einen ansonsten Blinden ein Wunder. Der Chip wird im Bereich des Netzhautzentrums (Makula) unter die Netzhaut implantiert und übernimmt dort die Funktion der abgestorbenen Photorezeptoren bei geographischer Atrophie, einer Form der altersbedingen trockenen Makuladegeneration. Von einer Spezialbrille mit eingebauter Kamera, die vom Patienten getragen wird, erhält der Chip per Infrarotprojektion Bildsignale und Energie. Mit elektrischen Impulsen stimuliert der Chip nun die verbliebenen Nervenzellen der Netzhaut. Das heißt aber nicht, dass man dann sofort ein Bild hätte. Durch das wöchentliche Training von 2-3 Stunden, muß man dann erst mal lernen, damit etwas anzufangen.
Das leider überholte (s.u.) epiretinale Argus-2-Retinaprothesensystem der Firma Second Sight verwendete einen Chip der der Netzhaut aufliegt (epiretinal liegt). Er stimuliert die Ganglienzellen. Problem ist hierbei, das das Gehirn - im Gegensatz zum subretinalen System - nicht weiß wo der Reiz ausgelöst wurde und deswegen eine Software passend zu dem von der Kamera gesehen Bild ein bestimmtes Muster erzeugen muß.
Es war in einigen Ländern zugelassen, modular aufgebaut und besteht aus drei Hauptkomponenten:
Visual Interface (Kamera an Brille befestigt)
Pocket Processor (Computer mit spezieller Software zur Bildverarbeitung)
Retina Stimulator (Chip der ins Auge implantiert wird)
Das Visual Interface nimmt mit Hilfe einer integrierten Kamera Bilder der Umgebung auf. Das Visual Interface ähnelt äußerlich einer größeren Sonnenbrille. In dieser Brille sind verschiedene elektronische Komponenten integriert: eine Kamera zur Aufnahme von Videobildern sowie weitere Teile zur Datenkommunikation mit dem Pocket Processor und dem Retina Stimulator. Außerdem wird die für das Implantat benötigte Energie vom Visual Interface drahtlos ins Augeninnere gesendet.
Die Bildinformationen des Visual Interface werden von einem Mikrocomputer, dem Pocket Processor verarbeitet und in zur Reizung der Netzhaut geeignete Impulse (Stimulationskommandos) umgewandelt. Die Kommandos vom Pocket Processor werden drahtlos in das Augeninnere zum Retina Stimulator übertragen. Der Pocket Processor hat die Größe eines Walkmans. Er enthält Batterien, welche das gesamte System (Pocket Processor, Visual Interface und Retina Stimulator) mit Energie versorgen. Die beiden externen Komponenten sind über ein dünnes Kabel miteinander verbunden. Der Pocket Processor kann – je nach Geschmack des Benutzers – z.B. an einem Hüft- oder Schultergürtel getragen werden.
Der Retina Stimulator ist der in die Netzhaut eingepflanzte Chip und erzeugt die Pulse, um eine elektrische Reizung der Netzhaut hervorzurufen und dadurch für eine gezielte Sehwahrnehmung beim Implantatträger zu sorgen.
Die Ergebnisse: Knapp zwei Dutzend Patienten in Deutschland wurden bislang diese Sehprothesen implantiert, in der Vergangenheit mit unbefriedigendem Ergebnis. Eine neue in Bonn entwickelte Software für den Pocket Processor, der Retina-Encoder sollte die Erkennbarkeit individuell abgestimmt verbessern. Stand der Dinge ist, daß die gesehenen Bilder nach intensivem Üben der Patienten das Unterscheiden von Linien und Quadraten ermöglichen. Das Bild besteht jedoch nur aus 49 Punkten und ist daher zu grob gerastert, um Gegenständezu unterscheiden oder gar zu lesen. Einstweilen kann also kein Blinder damit seine Lieblingskrimis lesen.
Das Drama: Laut einem Bericht des US-Wissenschaftsmagazins „IEEE Spectrum“ hat Second Sight die visionäre Technologie längst aufgegeben und überlässt somit Hunderte Nutzerinnen und Nutzer einem womöglich düsteren Schicksal, das sie bereits für abgewendet hielten. Wie „Spectrum“ berichtet, entwickelt Second Sight seine sogenannten bionischen Augenimplantate bereits seit dem Jahr 2019 nicht mehr weiter. Konkret geht es dabei um die Produkte „Argus I“ und „Argus II“, die nach einer etwa vierstündigen Operation ein künstliches Sehen in Grautönen ermöglichen. Beim jüngsten System wird das Netzhaut-Implantat, wie oben beschrieben, durch eine Videobrille optimiert. Mehr als 350 blinde Menschen weltweit haben diese "künstliche Augen" eingesetzt bekommen. Jetzt ist die Firma Second Sight quasi pleite und unterstützt die Technologie nicht mehr. Sie wurde nach Millionenverlusten von einem Konkurrenten übernommen, und wechselte das Geschäftsgebiet. Ein Wackelkontakt und das Augenlicht könnte wieder weg sein, da weder Ersatzteile lieferbar noch die Software wartbar ist. Bei Gesamtkosten von 437.000 Euro für das Gesamtpaket, inbegriffen sowohl die Operation als auch die Geräte- und Rehabilitationskosten, eine Katastrophe für die Betroffenen.
Das epiretinale Argus-2-Retinaprothesensystem der Firma Second sight:
(Anmerkung: Die Schemata auf dieser Seite sind den Informationen der beiden beschriebenen technischen Systeme entnommen)
(Stand 11.11.2024)