(Symbolbild für Schwindel: depositphotos.com)
Häufig kommen Patienten mit Schwindelerscheinungen in die Augenarztpraxis und der Fragestellung: “Liegt es womöglich an den Augen ?”
Schwindel ist keine Krankheit, sondern ein Symptom mit unterschiedlichsten Ursachen. Es besteht ein Gefühl der Unsicherheit bezüglich der eigenen Lage. Man fühlt sich nicht im Gleichgewicht, meint zu schwanken, alles dreht sich. Der Fachausdruck “Vertigo” kommt aus dem Lateinischen und bedeutet “Umdrehung”.
Man unterscheidet systematischen Schwindel, der sich immer gleich anfühlt von unsystematischem Schwindel, der vom Patienten schwer zu beschreiben und nicht immer gleich ist.
Der systematische Schwindel wird nach dem vorherrschenden Gefühl unterschieden in:
Neben der oben aufgeführten Einteilung nach dem vorherrschenden Gefühl des Betroffenen kann man Schwindel auch nach dem Auslöser unterscheiden:
Schwindel kann weitere Reaktionen des Körpers hervorrufen, wie Gangunsicherheit, Übelkeit, Erbrechen, Herzrasen, Schweißausbrüche und Ohnmacht.
(Übelkeit und Erbrechen: depositphotos.com)
Die Unterscheidung in die verschiedenen Arten des Schwindelgefühls und der auslösenden Situationen ist wichtig, da sie gleichzeitig die möglichen Ursachen eingrenzt. Der Schwindel ist nämlich keine bestimmte Krankheit sondern nur ein Symptom, sprich ein Zeichen für ein anderes Problem und damit zahlreiche sehr unterschiedliche Krankheiten als Ursache. Insofern sollte man das Wann ? Wobei ? Wie lange ? Welche Art ? genau analysieren, da sich so schon manches klärt. Verwechselt wird der Schwindel häufig mit Gangunsicherheiten und schwankendem Gehen aufgrund von schlechtem Sehvermögen oder Nervenschädigungen (Polyneuropathien) in den Beinen. Hier liegt kein echter Schwindel vor.
Das Gleichgewichtssystem des Menschen besteht aus folgenden Bestandteilen:
Schema des Innenohrs mit dem Gleichgewichtsnerv (1), der zum Gleichgewichtszentrum zieht, dem Hörnerv (2), der von der Hörschnecke (4) zum Hörzentrum zieht und den Bogengängen (3), die die Lage im Raum "erfühlen" (depositphotos.com).
So wissen wir jederzeit in welcher Stellung und Lage wir uns befinden bzw. wie wir uns bewegen. Gibt es jedoch Widersprüche in den Informationen aus diesen verschiedenen Quellen, entsteht ein Schwindelgefühl. Deswegen tritt der Schwindel auch gerne nach plötzlichen Stellungswechseln wie dem Verlassen eines Karussels, beim schnellen Hinlegen, schwungvollem Aufstehen oder Kopfwendungen im Bett auf. Er kann dann Sekunden oder aber auch mal mehrere Stunden dauern. Sind die Steuerzentren oder die Verbindungen zu den Steuerzentren gestört bzw. einzelne Sensoren beschädigt (z.B. das Innenohr mit dem Gleichgewichtsorgan), fällt die Verarbeitung im Gleichgewichtszentrum natürlich schwer und Schwindel entsteht.
Bei den Schwindelerscheinungen, die nicht durch krankhafte Beschädigung eines dieser Systeme (s.u. medizinische Ursachen) hervorgerufen werden, handelt es sich in der Regel um “Bewegungskrankheiten (Kinetosen). Hier meldet eines der Organe Stillstand und eines Bewegung. Dadurch kommt die “Schaltzentrale” durcheinander, aktiviert das vegetative Nervensystem und dem Betroffenen wird schwindelig und übel, er wird blass, bekommt Schweißausbrüche und muß sich evtl. sogar erbrechen. Man vermutet, dass das Brechzentrum im Gehirn (area postrema) aufgrund der widersprüchlichen Informationen "denkt", man halluziniere und sei vergiftet und den Körper durch Erbrechen von den (nicht vorhandenen) Giften befreien will.
Seekrankheit (depositphotos.com).
Die bekannteste Kinetose ist die Seekrankheit (Schema s. oben). In einer Schiffskabine z.B. nehmen die Augen keine Bewegung wahr, das Gleichgewichtsorgan meldet aber Schwanken. Als Reisekrankheit (englisch: Motion Sickness) bezeichnet man es, wenn es beim Lesen im Auto, als Beifahrer im Auto, in selbstfahrenden Autos, in Achterbahnen, beim Fahren im Zug, in der Schwerelosigkeit im Weltraum oder bei unruhigem Flug mit Turbulenzen auftritt. Es gibt schon Berichte über antike Griechen und Chinesen, denen übel wurde, während sie mit dem Pferdewagen reisten oder in Sänften getragen wurden. Erstaunlicherweise kennen auch Katzen, Hunde und sogar eine Vielzahl von Vögeln und Fischen das Problem. Vergleichbar sind auch die Situationen im Flugsimulator, beim Computerspielen, vor allem mit Virtual-Reality-Brillen (VR-Brillen, Bild s.u.) oder im 3-D-Kino (weiteres s.u.). 60-70% der Berufspiloten in Flugsimulatorstudien leiden an einer Kinetose und beim durchschnittlichen Virtual-Reality-Nutzer steigt die Quote auf 90-95% bei längerem Spielen, während ein längerer Spieleabend mit sehr bewegungsintensiven Spielen und konzentriertem Schauen auf de Monitor bei bis zu 50% zur Übelkeit führt auch ohne VR-Brille (vergleiche auch Artikel in giga. Immer liegt in diesen Situationen ein Unterschied zwischen der erwarteten oder erkennbaren Bewegung und der effektiven Bewegung vor. Für die meisten haben die VR-Brillen auch nicht den passenden Augenabstand, was die Beschwerden verschlimmert. Interessant in diesem Zusammenhang ist die Tatsache, dass Kinder nach einer Virtual-Reality-Erfahrung eine Woche später nicht zwischen Erinnerungsverfälschung und Realität unterscheiden. Bei der CES-Messe in Las Vegas wurde Anfang 2023 ein System von der Firma Holoride (Tochterfirma von Audi) vorgestellt, bei dem man VR-Brillen während der Autofahrt nutzen kann, ohne daß einem übel wird. Dabei werden die Bewegungen des Autos und sogar der Umgebung in das Spiel integriert und so der Unterschied gefühlte Bewegung und gesehene Bewegung ausgeglichen.
Auch unter die Kinetosen fällt die noch relativ unbekannte Skikrankheit. Bei schlechter Sicht beim Skifahren, wenn man die Piste kaum vom weißen Dunst, Schneefall oder Himmel unterscheiden kann, scheint der Berg plötzlich wie ein Schiff zu schwanken, Schneemassen schieben sich neben oder unter dem Skifahrer vorbei und es kommt zu Schwindel, Übelkeit und Erbrechen. Skikrank ist sozusagen wie reisekrank in den Bergen. Zwar nimmt das Gleichgewichtsorgan im Innenohr die Schwünge des Skifahrers wahr, die Augen aber melden wegen der schlechten Sicht Stillstand. Hinzu kommt, daß unser drittes Bewegungsmeldesystem, die Sensoren auf der Haut und in den Gelenken, durch Skischuhe und dicke Kleidung quasi wie gedämpft ist und von hier auch keine aussagekräftigen Informationen an das Gleichgewichtssystem gesendet werden.
Hier ist eines oder mehrere der Teile des Gleichgewichtssystems beschädigt.
Beim systematischen Schwindel wird durch eine Erkrankung (z.B.Multiple Sklerose, Tumore) oder Verletzung wie z.B. eine Felsenbeinfraktur (der Teil des knöchernen Schädels der neben dem Ohr sitzt) bzw. ein Schleudertrauma oder giftige Einflüsse (z.B. bestimmte Antibiotika, Antidepressiva, starke Schmerzmittel, Alkohol, Drogen) aber auch Durchblutungsstörungen (jeder dritte Patient mit Hörsturz hat auch Schwindel) oder Hirnblutungen, das Gleichgewichtssystem selbst beschädigt oder gestört. Entzündungen, altersbedingter Abbau (Degenerationen) und zu viel Flüssigkeit im Innenohr (Morbus Menière), sind weitere Möglichkeiten das Gleichgewichtsorgan selbst zu schädigen..
Beim unsystematischen Schwindel können Herzkreislauferkrankungen (z.B. zu niedriger aber auch zu hoher Blutdruck, Herzschwäche, Herzrhythmusstörungen, Gefäßverkalkungen), Epilepsie, Augenerkrankungen, Probleme mit der Halswirbelsäule (vertebragener Schwindel), Migräne aber auch psychische Erkrankungen (z.B. Psychosen, Angstzustände, Höhenangst) die Ursache sein. (Anm.: das englische Wort “vertigo” bedeutet übrigens sowohl Schwindel als auch Höhenangst)
Hier handelt es sich nur um eine Übersicht zum Thema Schwindel, die Unterscheidung der einzelnen Erkrankungen ist recht komplex und spezielle Untersuchungsmethoden zur Differenzierung (Frenzel-Brille, Kopfimpulstest etc.) existieren. Da die Gleichgewichtsorgane im Innenohr liegen, sind Ohrerkrankungen eine häufige Ursache des Symptoms Schwindel und auf jeden Fall der HNO-Arzt die erste Adresse zur Ursachenforschung. Die genauere Erläuterung der diversen komplizierten Erkrankungen, die das Gleichgewichtssystem schädigen könnnen, wie z.B. der akuten unilateralen Vestibulopathie, dem benignen peripheren paroxysmalen Lagerungsschwindel, dem Morbus Menière und dergl. führt in diesem Rahmen zu weit. Schwindel kommt übrigens nicht vom Nacken, sondern es ist umgekehrt. Der Nacken "verspannt" sich, um den Kopf bei Schwindel ruhig zu halten.
Sind die Augen die Ursache spricht man von okulärem Schwindel. Dies kann durch nicht oder falsch ausgeglichene Sehfehler, schlechtes Sehen z.B. bei Grauem Star, in der Gewöhnungsphase an eine neue Mehrstärkenbrille und vor allem durch neu aufgetretenes Schielen z.B. bei Augenmuskellähmungen kommen. Dadurch, daß das Gleichgewichtszentrum mit mehreren Verarbeitungszentren der Augen z.B. für die Steuerung der Blickbewegungen und des Sehens verbunden ist, wirken sich Fehlfunktionen im Bereich des Sehens destabilisierend aus. Die Skikrankheit (s.o.) z.B. tritt bei Personen mit Sehfehlern viel häufiger auf. Der okuläre Schwindel ist allerdings sehr selten. Meist liegt die Ursache im Innenohr oder im Nervensystem.
Innenohrprobleme führen bei der bilateralen Vestibulopathie (Innenohrschaden meist durch Medikamente) z.B. umgekehrt zu Sehstörungen. Neben einem Schwankschwindel in Bewegung treten hier Bildverwackelungen (Oszillopsien) bei Kopfbewegungen auf.
Typische Sehstörungen kann es bei der vestibulären Migräne geben.Hier kommt es zu wiederkehrenden, Minuten bis Stunden anhaltende Attacken von Drehschwindel, der sich bei körperlicher Aktivität verstärkt. In über 60% geht es mit Kopfschmerz und/oder Licht- oder Lärmempfindlcihkeit einher. Die meisten dieser Patienten leiden zusätzlich unter einer Migräne mit oder ohne Aura, d.h. die typischen Kopfschmerzen plus Sehstörungen. Der Schwindel tritt aber bei der vestibulären Migräne nicht als ankündigendes Symptom wie die Sehstörung bei der Migräne auf.
Nach Kopfschmerzen ist der Schwindel die zweithäufigste und jenseits der 75 sogar die häufigste Ursache für Arztbesuche. Bei einer plötzlichen starken Schwindelattacke, die man sich nicht erklären kann, sollte man sofort eine Notfallambulanz aufsuchen. Es kann auch mal ein Schlaganfall, insbesondere im Kleinhirn oder im Hirnstamm, dahinter stecken.
Wenn der Schwindel nach Neuanpassung einer Brille auftritt, sollte man zunächst zum Augenarzt gehen. Verdächtig ist es auch, wenn bei Abdecken von einem Auge, der Schwindel weg ist..
Bei den Kinetosen (s.o.) kann man mit Medikamenten gegen Reiseübelkeit eine Linderung erreichen bzw. bei allen Formen, bei denen das Auge Bewegung registriert und der Körper meint, es findet keine statt, sich auf einen festen Punkt in der Landschaft konzentrieren. Eine der neuesten Ideen ist die schräg aussehende Brille Seetroën des Autoherstellers Citroën, die angeblich bei 94 Prozent der Benutzer die Reisekrankheit stoppen soll. Sie ist seit Sommer 2018 auf dem Markt und besteht aus vier Ringen: zwei um die Augen und einem an jeder Schläfe. Diese sind zur Hälfte mit einer farbigen Flüssigkeit gefüllt. Die Flüssigkeit bewegt sich dabei auf die gleiche Weise wie die Flüssigkeit im Innenohr und hilft so, dass Gesehenes und gefühlte Bewegung übereinstimmen.
Bei allen anderen Formen sollte man zunächst zum Hausarzt und dann ggf zum Neurologen, Halsnasenohrenarzt, Orthopäden oder Herzspezialisten. Findet sich hier keine ausreichende Erklärung, ist auch immer eine Untersuchung beim Augenarzt sinnvoll. Insgesamt muß man aber sagen, daß Augenerkrankungen in den seltensten Fällen die Ursache für Schwindel sind. Aufgrund der Kompliziertheit der Zusammenhänge können häufig nur mehrere Fachgebiete zusammen der Ursache auf den Grund gehen und es existiert sogar spezielle Schwindel- und Gleichgewichtszentren (s.u.)
Bei Gangunsicherheit sollte man sich trotzdem regelmäßig bewegen und ggf. unter Betreuung, z.B. eines Physiotherapeuten, genau jene Bewegungen trainieren, bei denen Schwindel auftritt, um mit anderen Sinnen, die eingeschränkte Funktion des Gleichgewichtsorgans auszugleichen.
Der Widerspruch zwischen durch die Augen gemeldeter rasanter Bewegung und dem vom Gleichgewichtsorgan im Innenohr gemeldeten Ruhezustand (ich sitze ja ganz ruhig) kann zu Schwindel und Übelkeit führen. Im Kino sollte man bei 3-D-Filmen in der Mitte und mehr hinten sitzen und bei Problemen mehr auf ruhigere Bildteile achten. Beim 3-D-Vidospiel ist die 3-D-Krankheit- wie das Phänomen auch genannt wird - ein Grund sich lieber 2-D-Spiele anzusehen. Zum Dreidimensionalen Sehen siehe auch unter 3-D-Sehen.
Viele ältere Patienten kommen wegen “Schwindel” zum Arzt. Schwindel und Gangunsicherheit darf man jedoch nicht verwechseln. Zwar kann man durch Schwindelerscheinungen gangunsicher werden und stürzen aber in vielen Fällen handelt es sich um andere Ursachen, die zu Gangunsicherheit führen. Hierunter fallen nachlassende Muskelkraft vor allem in den Beinen und Füßen, Gelenkschäden mit schmerzvermeidungsbedingt unsicherem Gang, Sehschwächen, Gang- und Balancestörungen, zu Sturzneigung führende Krankheiten (Morbus Parkinson, Depression, Zustand nach Schlaganfall, niedriger Blutdruck, etc.) und bestimmte Medikamente (Benzodiazepine, Neuroleptika, Antidepressiva und Blutdrucksenker). Mit zunehmendem Alter nimmt die Gangunsicherheit und damit die Sturzhäufigkeit zu. Ein Drittel der über 65-jährigen stürzen mindestens einmal im Jahr. Bei den 80-89-jährigen ist dies schon bei 40-50% der Fall und bei den über 90-jährigen deutlich über 50%.
Eingeschränkte Mobilität und Stürze sind die Hauptfaktoren für eine reduzierte Lebensqualität im Alter. Dabei sind Schwindel und Gangunsicherheit keine Begleiterscheinungen des normalen Alterns, sondern weisen auf bestimmte Funktionsstörungen des Körpers hin. Im Alter bestehen hier meist Defizite in mehreren Bereichen. Meist ist es eine Kombination von Störungen an Muskeln (Schwäche und Abbau), Gelenken (Schmerzen und Schäden), Nerven (verringerte Sensibilität und Aktivität bei Polyneuropathie), Kreislaufsituation (niedriger Blutdruck, Herzschwäche) und beeinträchtigter Hirnfunktion( z.B. Demenz und damit fehlende Fähigkeit durch Konzentration die Defizite auszugleichen). Diese müssen genau diagnostiziert und anschließend - soweit möglich - gezielt behandelt werden. Allein durch Krafttraining, Gleichgewichtstraining (z.B. Tai Chi), Koordinationstraining und Konzentrationstraining kann hier schon viel kompensiert werden.
Hier hilft offensichtlich das Sehen bei der Gangkontrolle, um andere aufgetretene Schwächen im Gleichgewichtssystem auszugleichen. Ursache können Erkrankungen des Kleinhirns, Durchblutungsstörungen (vaskuläre Enzephalopathie) und auch Empfindungsstörungen (Polyneuropathie) sein.
Ludwig Börne: Was für den Körper der Schwindel ist, ist Verlegenheit für den Geist.
Coco Chanel: “Alt werden ist anstrengend aber man bedenke die Alternative”
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(Stand 03.07.2024)